Bericht von Jürgen Gerber
Lealott ex Volumnia – Stückgutschiff
Zum erstenmal in meinem Leben fuhr ich allein mit
der Eisenbahn nach Hamburg. Ich hatte meinen Gesellenbrief als
Tischler in der Tasche und wollte auf große Fahrt gehen.
Da ich immer alles gut vorbereite, war ich bereits in Bielefeld,
meiner Heimatstadt, beim Arbeitsamt und hatte mich dort beraten
lassen, wie ich am besten in Hamburg vorgehen könnte.
So saß ich am 2. Juli 1964 in der Bahn und
wusste schon im Groben wo und was ich machen musste. Es ging über
die Elbbrücken, vorbei am Großmarkt und da sah ich
die vielen kleinen und großen Schiffe liegen. Dann endlich
hieß es Hamburg Hauptbahnhof. Auf dem direkten Weg ging
es zum Arbeitsamt, gleich gegenüber vom Hauptbahnhof. Dort
gab man mir den Rat nach dem Seemannsheim Altona zu fahren, dort
zu übernachten und gleich am nächsten Morgen, auf die
Heuerstelle über den Landungsbrücken zu gehen. Dort
würde ich weiter beraten, was zu machen sei.
Pünktlich traf ich am nächsten Morgen
dort ein. Max, so wurde der Stellenvermittler bei den Seeleuten
genannt, schickte mich als erstes mit einem Zettel zur Seeberufsgenossen-schaft.
Ich musste einen Sehtest machen, wurde abgeklopft und abgehört,
machte ein paar Kniebeugen und musste eine Urinprobe hinterlassen.
Am Nachmittag hatte ich meine Ge-sundheitskarte (diese muss alle
2 Jahre erneuert werden).Schnellstens fuhr ich zurück zur
Heuerstelle. Musste nun noch nach Dr. Sanders, der mich gegen
Pocken impfte.
Nun bekam ich meinen ersten Heuerschein für
ein Schiff zu den großen Seen in Nordamerika, für das
Schiff Lealott, sowie Spesengeld und Fahrkarte. Jetzt hatte ich
wirklich alles geschafft und bekam mein Seefahrtsbuch ausgestellt
im Seeamt. Als Jung-Zimmermann angemustert, konnte es nun auf
große Fahrt gehen. Am 4. Juli frühmorgens um 3 Uhr
20 ging es mit Herzklopfen mit der Bahn nach Rotterdam. Zur Mittagsstunde
traf ich dort ein; mit dem Taxi fuhr ich weiter zum Maklerbüro.
Es war Sonnabend, nur der Pförtner war dort. Ich gab ihm
meinen Heuerschein. Er telefonierte einige Male umher, bis er
den Liegeplatz der Lealott heraus hatte.
Weiter ging es mit dem Taxi zum Rheinhafen. Das
Schiff wartete auf mich, denn es sollte auslaufen. Der Bootsmann
zeigte mir meine Kajüte und sagte,ich solle mein Arbeitszeug
anziehen und mich wieder bei ihm melden. Mit einem Matrosen zusammen,
musste ich Autos mit Balken und Tauen laschen. Anschließend
hieß es seeklar machen. Die Luken wurden verschlossen und
gesichert, Ladebäume in ihre Verankerung gebracht, Gangway
hoch gehievt und verzurrt. Dann um 14 Uhr liefen wir aus. Ich
musste am Ankerspill ste-hen und es wurde mir gezeigt, wie ich
es zu bedienen hätte. Der Lotse blieb ca. 1 ½ Stunden
an Bord, ehe ein Lotsenboot ihn von Bord holte. Nun hatten wir
Hook von Holland er-reicht und die Nordsee lag vor uns.
Gleich beim ersten Schaukeln des Schiffes wurde
ich seekrank, dabei hatte das Schiff sich kaum bewegt. Aber ich
hatte schon immer Schwierigkeit bei Autofahrten, Eisenbahn, ei-gentlich
bei allem, was sich bewegte. Die Besatzung fand es sehr lustig,
dass ich seekrank war. Es dauerte ein paar Tage, bevor der Körper
sich daran gewöhnte. Dies soll nicht hei-ßen, dass
ich in der Koje lag, nein Arbeit und Ablenkung ist die beste Medizin.
Seekrank war ich noch 3 Jahre, zwar nicht mehr bei jedem Seegang,
aber ab und an meldete sich der Magen.
Die Überfahrt auf dem Nordatlantik war schon
sehr heftig, immer Windstärke 8 – 9. So lernte ich
bei einem Matrosen die ersten Ausdrücke wie Backbord, Steuerbord,
Kabelgatt, Gei oder Stach, was eine Vorpiek ist oder Schekel.
Es waren alles unbekannte Namen für mich. Aber nicht nur
dass der erfahrene Bootsmann sich meiner annahm und mir viel see-männisches
Wissen beibrachte, nein auch die Kollegen zeigten mir noch viele
Dinge, wie Seemannsknoten und was man noch so alles braucht.
Nach 9 Tagen auf See erreichten wir Belle Isle,
nördlich von Neufundland. Es war dort sehr kalt und windig,
obwohl auch dort Sommer war. Im Golf von St. Lawrence, in Höhe
von Baie Comeau kam der Lotse an Bord. Die Anker wurden wieder
klar zum Fallen ge-macht, dies heißt, die Sicherungen entfernen,
um jeder Zeit den Anker benutzen zu kön-nen. Die Lukensicherungen
entfernt, die Ladebäume hochgestellt, damit die Stauer im
Ha-fen ihre Arbeit gleich beginnen konnten.
Am 14.7. erreichten wir Montreal. Es kam der Wassermann
von Land und wollte Trink-wasser an Bord bringen. Da ich kein
Englisch konnte, habe ich wenig verstanden, was er genau wollte.
Er wollte wissen wie viel Tonnen Trinkwasser und wo er es anschließen
soll-te. Die Matrosen an Deck haben sich über soviel Unwissenheit
lustig gemacht. Aber ich bin lernfähig und habe ordentlich
Zahlen und Grundenglisch gelernt. Konnte ich doch immer das neu
Erlernte wieder anbringen. Nach dem Motto: Übung macht den
Meister.
Abends ging es zum erstenmal in das Zentrum einer
Großstadt mit ihren Wolkenkratzern. Die Geschäfte hatten
rund um die Uhr offen, so habe ich mir die erste Jeans gekauft.
Gleich nach Montreal beginnen die großen Schleusen.
Es muss eine Höhe von 73 m aus-geglichen werden. Sieben Schleusen
auf 297 km halten das Wasser oben. Bevor man in eine Schleuse
kommt, müssen 2 Mann von Deck über einen Galgenbaum
an Land gebracht werden. Der Mann sitzt auf einem Bootsmannsstuhl
und wird mit Schwung querab ge-dreht. Sobald er über Land
ist, wird er abgelassen, damit er nach Achtern laufen kann um
die Leinen von Bord anzunehmen. Der 2 Mann für die Vorderleinen
folgt sogleich.
Das Schiff gleitet langsam an die Wartepier und
macht fest. Dann beginnt das Warten bis die Schleuse frei ist.
So lange sitzt man in der Messe bei einem heißen Tee. Wenn
es aus dem Lautsprecher tönt: „Alle Mann an Deck“,
stürzen die Leute an ihre Winden und Stati-onen. Langsam
gleitet das Schiff in die riesigen Schleusen, die eine Länge
von 270 m und einer Breite von 25 m aufweisen. Selbst Schiffe
mit 15 m Tiefgang sind da kein Problem. Während des Pumpvorgangs
müssen die Stahltrossen immer schön angespannt sein,
damit keine große Bewegung in das Schiff kommt. Zahlreiche
Pfänder gehen da zu Bruch. Zum Glück habe ich bereits
große Mengen aus Holz vorbereitet. Es dauert nur 15 bis
30 Minu-ten, dann ist der Schleusenvorgang abgeschlossen, je nach
Größe der Schleuse.
Schon geht es weiter zur nächsten Schleuse,
über Lautsprecher wird gesagt, wie lange es bis zur nächsten
Schleuse dauert. Im Durchschnitt waren wir 1½ Tage für
die sieben Schleusen unterwegs. Da kamen wir kaum aus den Arbeitsklamotten
heraus.
Toronto hieß der nächste Hafen, ehe es
in den Welland-Kanal mit 8 Schleusen auf 50 km Strecke ging. Diese
8 Schleusen verbinden den Ontario-See mit dem 99,2 m höheren
Erie-See, also dort, wo die Niagarafälle sind. Spaß
macht es vor allem, wenn Schaulustige mit ihren Autos direkt auf
der Wartepier stehen. Dann haben wir versucht unsere Leute auf
die Autos abzusetzen. Die Autofahrer wurden sehr hektisch, glaube
aber kaum, dass dort ge-parkt werden durfte.
Die nächsten Häfen waren Detroit, Sarnia,
Milwaukee und Chicago. Wir waren am Sonn-tag in Chicago und wurden
über das Seemannsheim in amerikanische Familien eingela-den.
Erst ging es morgens in die Kirche. Nach dem Gottesdienst wurden
wir auf die Fami-lien verteilt. Ich hatte weniger Glück wie
andere. Andere zeigten den Seeleuten ein wenig von der Landschaft
und der Stadt, ich blieb den ganzen Tag nur im Hause, durfte erleben
das Mittagessen und Fernsehen. Abends wurden wir wieder an Bord
gebracht. Im ersten und zugleich letzten Hafen unserer Rückreise
luden wir Getreide.
An Bord der Lealott war ich in einer Zweimann-Kabine
untergebracht und am Samstag bekamen wir 2 Arbeitsstunden Zeit,
die Kabine sauber zu machen. Es wurde vom Boots-mann kontrolliert.
Die Decksbesatzung bestand aus Bootsmann (Meister), Matrosen (Ge-sellen),
Jungleuten (Lehrlingen), Decksarbeitern (Hilfskräfte), ca.
12 Leute.
In jedem Hafen kommt der Makler oder Agent mit der
Post von zu Hause. Die Reedereien geben der Familie oder Angehörigen
eine Liste mit Datum und Adresse der Häfen, wann und wo das
Schiff ist. Sollte der Hafen nicht angelaufen werden oder ist
das Schiff schon wieder fort, wird die Post nachgesandt zum nächsten
Hafen und Makler. Auf meinen Fahr-ten auf anderen Schiffen lief
es genauso, leider ist die Post schon 3 bis 4 Wochen alt.
Zurück durch die großen Seen, denselben
Schleusen, ging es wieder über den Atlantik zu-rück.
Bevor wir aber den Lorenzstrom verließen, machten wir das
Schiff wetterfest. Alles wurde gelascht und festgezurrt. Ich musste
die Klüsen der Ankerkette dichtzementieren, damit selbst
bei starker See kein Wasser in den Kettenkasten gelangte. Bevor
der Lotse sich noch verabschiedete, bekamen wir noch frischen
Fisch vom Lotsenboot.
In Hamburg unter einem Silo kamen die großen
Saugrohre und saugten das Getreide wie ein Staubsauger aus den
Laderäumen. Mit schwerem Gerät wird das Getreide unter
den Decks hervorgeholt.
Danach kommt eine Reinigungsfirma und reinigt die
Luken, bevor wieder neue Ladung in den Häfen Hamburg, Bremen,
Rotterdam und Antwerpen geladen wird. Meist sind bis zu 8 Stauer
in einer Luke beschäftigt, um die Paletten zu leeren und
alles zu verstauen. Egal ob Ölfässer, Eisendrähte,
Stahlrohre, Maschinenteile oder Schuhkartons. Jede Kiste wurde
mit Hand an Ort und Stelle gehievt. Dann kamen je nach Ladung
noch die Lascher mit ihren Drähten, Spannschrauben und Fröschen
(Klemmen der Drähte) an Bord. So ist im-mer viel Leben in
den Häfen an Bord.
Zwischendurch kommt neuer Proviant, Bier und Zigaretten
in die Stores. Trinkwasser wird übernommen, das Bunkerschiff
mit Schweröl kommt längsseits, also es gibt kaum Pause.
Meine tägliche Arbeit bestand im Peilen von
allen Tanks, sowie auf der Überfahrt nach USA und Kanada
im Fetten der Mc. Gregor Lukenräder. Die Klüsenrollen
für die Schleu-senfahrt und das Anfertigen der vielen Pfänder
gehörte auch dazu. In den Luken musste ich Wache gehen, damit
die Hafenarbeiter nicht zuviel klauten.
Auf der zweiten Hinreise sahen wir große Eisberge
ca. zwei Tage vor Neufundland treiben. Besonders schön war
bei Ontario im St. Lorenz Strom, der Indiansummer. Er begleitete
uns dieses Mal in seinen wundervollen Farben bei meiner letzten
Reise auf diesem Schiff. In Hamburg habe ich am 17.Oktober 1964
abgemustert. So war ich 3 Monate und 14 Tage auf dem Schiff Lealott.
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