A. Kirsten - Fahrer


Jürgen Gerber
Jahrgang 1946
 
 
Volumnia = Lealott, 7-10/1964, Zimmermann

Bericht von Jürgen Gerber

Lealott ex Volumnia – Stückgutschiff

Zum erstenmal in meinem Leben fuhr ich allein mit der Eisenbahn nach Hamburg. Ich hatte meinen Gesellenbrief als Tischler in der Tasche und wollte auf große Fahrt gehen. Da ich immer alles gut vorbereite, war ich bereits in Bielefeld, meiner Heimatstadt, beim Arbeitsamt und hatte mich dort beraten lassen, wie ich am besten in Hamburg vorgehen könnte.

So saß ich am 2. Juli 1964 in der Bahn und wusste schon im Groben wo und was ich machen musste. Es ging über die Elbbrücken, vorbei am Großmarkt und da sah ich die vielen kleinen und großen Schiffe liegen. Dann endlich hieß es Hamburg Hauptbahnhof. Auf dem direkten Weg ging es zum Arbeitsamt, gleich gegenüber vom Hauptbahnhof. Dort gab man mir den Rat nach dem Seemannsheim Altona zu fahren, dort zu übernachten und gleich am nächsten Morgen, auf die Heuerstelle über den Landungsbrücken zu gehen. Dort würde ich weiter beraten, was zu machen sei.

Pünktlich traf ich am nächsten Morgen dort ein. Max, so wurde der Stellenvermittler bei den Seeleuten genannt, schickte mich als erstes mit einem Zettel zur Seeberufsgenossen-schaft. Ich musste einen Sehtest machen, wurde abgeklopft und abgehört, machte ein paar Kniebeugen und musste eine Urinprobe hinterlassen. Am Nachmittag hatte ich meine Ge-sundheitskarte (diese muss alle 2 Jahre erneuert werden).Schnellstens fuhr ich zurück zur Heuerstelle. Musste nun noch nach Dr. Sanders, der mich gegen Pocken impfte.

Nun bekam ich meinen ersten Heuerschein für ein Schiff zu den großen Seen in Nordamerika, für das Schiff Lealott, sowie Spesengeld und Fahrkarte. Jetzt hatte ich wirklich alles geschafft und bekam mein Seefahrtsbuch ausgestellt im Seeamt. Als Jung-Zimmermann angemustert, konnte es nun auf große Fahrt gehen. Am 4. Juli frühmorgens um 3 Uhr 20 ging es mit Herzklopfen mit der Bahn nach Rotterdam. Zur Mittagsstunde traf ich dort ein; mit dem Taxi fuhr ich weiter zum Maklerbüro. Es war Sonnabend, nur der Pförtner war dort. Ich gab ihm meinen Heuerschein. Er telefonierte einige Male umher, bis er den Liegeplatz der Lealott heraus hatte.

Weiter ging es mit dem Taxi zum Rheinhafen. Das Schiff wartete auf mich, denn es sollte auslaufen. Der Bootsmann zeigte mir meine Kajüte und sagte,ich solle mein Arbeitszeug anziehen und mich wieder bei ihm melden. Mit einem Matrosen zusammen, musste ich Autos mit Balken und Tauen laschen. Anschließend hieß es seeklar machen. Die Luken wurden verschlossen und gesichert, Ladebäume in ihre Verankerung gebracht, Gangway hoch gehievt und verzurrt. Dann um 14 Uhr liefen wir aus. Ich musste am Ankerspill ste-hen und es wurde mir gezeigt, wie ich es zu bedienen hätte. Der Lotse blieb ca. 1 ½ Stunden an Bord, ehe ein Lotsenboot ihn von Bord holte. Nun hatten wir Hook von Holland er-reicht und die Nordsee lag vor uns.

Gleich beim ersten Schaukeln des Schiffes wurde ich seekrank, dabei hatte das Schiff sich kaum bewegt. Aber ich hatte schon immer Schwierigkeit bei Autofahrten, Eisenbahn, ei-gentlich bei allem, was sich bewegte. Die Besatzung fand es sehr lustig, dass ich seekrank war. Es dauerte ein paar Tage, bevor der Körper sich daran gewöhnte. Dies soll nicht hei-ßen, dass ich in der Koje lag, nein Arbeit und Ablenkung ist die beste Medizin. Seekrank war ich noch 3 Jahre, zwar nicht mehr bei jedem Seegang, aber ab und an meldete sich der Magen.

Die Überfahrt auf dem Nordatlantik war schon sehr heftig, immer Windstärke 8 – 9. So lernte ich bei einem Matrosen die ersten Ausdrücke wie Backbord, Steuerbord, Kabelgatt, Gei oder Stach, was eine Vorpiek ist oder Schekel. Es waren alles unbekannte Namen für mich. Aber nicht nur dass der erfahrene Bootsmann sich meiner annahm und mir viel see-männisches Wissen beibrachte, nein auch die Kollegen zeigten mir noch viele Dinge, wie Seemannsknoten und was man noch so alles braucht.

Nach 9 Tagen auf See erreichten wir Belle Isle, nördlich von Neufundland. Es war dort sehr kalt und windig, obwohl auch dort Sommer war. Im Golf von St. Lawrence, in Höhe von Baie Comeau kam der Lotse an Bord. Die Anker wurden wieder klar zum Fallen ge-macht, dies heißt, die Sicherungen entfernen, um jeder Zeit den Anker benutzen zu kön-nen. Die Lukensicherungen entfernt, die Ladebäume hochgestellt, damit die Stauer im Ha-fen ihre Arbeit gleich beginnen konnten.

Am 14.7. erreichten wir Montreal. Es kam der Wassermann von Land und wollte Trink-wasser an Bord bringen. Da ich kein Englisch konnte, habe ich wenig verstanden, was er genau wollte. Er wollte wissen wie viel Tonnen Trinkwasser und wo er es anschließen soll-te. Die Matrosen an Deck haben sich über soviel Unwissenheit lustig gemacht. Aber ich bin lernfähig und habe ordentlich Zahlen und Grundenglisch gelernt. Konnte ich doch immer das neu Erlernte wieder anbringen. Nach dem Motto: Übung macht den Meister.

Abends ging es zum erstenmal in das Zentrum einer Großstadt mit ihren Wolkenkratzern. Die Geschäfte hatten rund um die Uhr offen, so habe ich mir die erste Jeans gekauft.

Gleich nach Montreal beginnen die großen Schleusen. Es muss eine Höhe von 73 m aus-geglichen werden. Sieben Schleusen auf 297 km halten das Wasser oben. Bevor man in eine Schleuse kommt, müssen 2 Mann von Deck über einen Galgenbaum an Land gebracht werden. Der Mann sitzt auf einem Bootsmannsstuhl und wird mit Schwung querab ge-dreht. Sobald er über Land ist, wird er abgelassen, damit er nach Achtern laufen kann um die Leinen von Bord anzunehmen. Der 2 Mann für die Vorderleinen folgt sogleich.

Das Schiff gleitet langsam an die Wartepier und macht fest. Dann beginnt das Warten bis die Schleuse frei ist. So lange sitzt man in der Messe bei einem heißen Tee. Wenn es aus dem Lautsprecher tönt: „Alle Mann an Deck“, stürzen die Leute an ihre Winden und Stati-onen. Langsam gleitet das Schiff in die riesigen Schleusen, die eine Länge von 270 m und einer Breite von 25 m aufweisen. Selbst Schiffe mit 15 m Tiefgang sind da kein Problem. Während des Pumpvorgangs müssen die Stahltrossen immer schön angespannt sein, damit keine große Bewegung in das Schiff kommt. Zahlreiche Pfänder gehen da zu Bruch. Zum Glück habe ich bereits große Mengen aus Holz vorbereitet. Es dauert nur 15 bis 30 Minu-ten, dann ist der Schleusenvorgang abgeschlossen, je nach Größe der Schleuse.

Schon geht es weiter zur nächsten Schleuse, über Lautsprecher wird gesagt, wie lange es bis zur nächsten Schleuse dauert. Im Durchschnitt waren wir 1½ Tage für die sieben Schleusen unterwegs. Da kamen wir kaum aus den Arbeitsklamotten heraus.

Toronto hieß der nächste Hafen, ehe es in den Welland-Kanal mit 8 Schleusen auf 50 km Strecke ging. Diese 8 Schleusen verbinden den Ontario-See mit dem 99,2 m höheren Erie-See, also dort, wo die Niagarafälle sind. Spaß macht es vor allem, wenn Schaulustige mit ihren Autos direkt auf der Wartepier stehen. Dann haben wir versucht unsere Leute auf die Autos abzusetzen. Die Autofahrer wurden sehr hektisch, glaube aber kaum, dass dort ge-parkt werden durfte.

Die nächsten Häfen waren Detroit, Sarnia, Milwaukee und Chicago. Wir waren am Sonn-tag in Chicago und wurden über das Seemannsheim in amerikanische Familien eingela-den. Erst ging es morgens in die Kirche. Nach dem Gottesdienst wurden wir auf die Fami-lien verteilt. Ich hatte weniger Glück wie andere. Andere zeigten den Seeleuten ein wenig von der Landschaft und der Stadt, ich blieb den ganzen Tag nur im Hause, durfte erleben das Mittagessen und Fernsehen. Abends wurden wir wieder an Bord gebracht. Im ersten und zugleich letzten Hafen unserer Rückreise luden wir Getreide.

An Bord der Lealott war ich in einer Zweimann-Kabine untergebracht und am Samstag bekamen wir 2 Arbeitsstunden Zeit, die Kabine sauber zu machen. Es wurde vom Boots-mann kontrolliert. Die Decksbesatzung bestand aus Bootsmann (Meister), Matrosen (Ge-sellen), Jungleuten (Lehrlingen), Decksarbeitern (Hilfskräfte), ca. 12 Leute.

In jedem Hafen kommt der Makler oder Agent mit der Post von zu Hause. Die Reedereien geben der Familie oder Angehörigen eine Liste mit Datum und Adresse der Häfen, wann und wo das Schiff ist. Sollte der Hafen nicht angelaufen werden oder ist das Schiff schon wieder fort, wird die Post nachgesandt zum nächsten Hafen und Makler. Auf meinen Fahr-ten auf anderen Schiffen lief es genauso, leider ist die Post schon 3 bis 4 Wochen alt.

Zurück durch die großen Seen, denselben Schleusen, ging es wieder über den Atlantik zu-rück. Bevor wir aber den Lorenzstrom verließen, machten wir das Schiff wetterfest. Alles wurde gelascht und festgezurrt. Ich musste die Klüsen der Ankerkette dichtzementieren, damit selbst bei starker See kein Wasser in den Kettenkasten gelangte. Bevor der Lotse sich noch verabschiedete, bekamen wir noch frischen Fisch vom Lotsenboot.

In Hamburg unter einem Silo kamen die großen Saugrohre und saugten das Getreide wie ein Staubsauger aus den Laderäumen. Mit schwerem Gerät wird das Getreide unter den Decks hervorgeholt.

Danach kommt eine Reinigungsfirma und reinigt die Luken, bevor wieder neue Ladung in den Häfen Hamburg, Bremen, Rotterdam und Antwerpen geladen wird. Meist sind bis zu 8 Stauer in einer Luke beschäftigt, um die Paletten zu leeren und alles zu verstauen. Egal ob Ölfässer, Eisendrähte, Stahlrohre, Maschinenteile oder Schuhkartons. Jede Kiste wurde mit Hand an Ort und Stelle gehievt. Dann kamen je nach Ladung noch die Lascher mit ihren Drähten, Spannschrauben und Fröschen (Klemmen der Drähte) an Bord. So ist im-mer viel Leben in den Häfen an Bord.

Zwischendurch kommt neuer Proviant, Bier und Zigaretten in die Stores. Trinkwasser wird übernommen, das Bunkerschiff mit Schweröl kommt längsseits, also es gibt kaum Pause.

Meine tägliche Arbeit bestand im Peilen von allen Tanks, sowie auf der Überfahrt nach USA und Kanada im Fetten der Mc. Gregor Lukenräder. Die Klüsenrollen für die Schleu-senfahrt und das Anfertigen der vielen Pfänder gehörte auch dazu. In den Luken musste ich Wache gehen, damit die Hafenarbeiter nicht zuviel klauten.

Auf der zweiten Hinreise sahen wir große Eisberge ca. zwei Tage vor Neufundland treiben. Besonders schön war bei Ontario im St. Lorenz Strom, der Indiansummer. Er begleitete uns dieses Mal in seinen wundervollen Farben bei meiner letzten Reise auf diesem Schiff. In Hamburg habe ich am 17.Oktober 1964 abgemustert. So war ich 3 Monate und 14 Tage auf dem Schiff Lealott.